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DIE AUSSENPOLITIK DER ÄRA KREISKY


Wie wenige andere Staatsmänner der Zweiten Republik hat Bruno KREISKY auch der Außenpolitik des Landes immer wieder seinen persönlichen Stempel aufgeprägt und in entscheidenden Phasen ihre Richtung vorgegeben. Sein Wirken in der Außenpolitik war entscheidend von den geistigen und intellektuellen Traditionen beeinflusst, denen er seit seiner Jugend verbunden war und aus denen er immer wieder Anregungen und Ideen für seine praktische Arbeit schöpfen konnte. So kamen aus seiner Verwurzelung in der österreichischen und europäischen Arbeiterbewegung seiner Zeit internationalistisches Denken und Bewusstsein für den Wert internationaler Verbindungen und Vernetzungen, aus der Nähe seiner Generation zu einem noch größeren Österreich, aber auch der Sinn für die weitere Dimension und die kontinentale Perspektive. Aus dem jungen Sozialdemokraten, der schon in der ersten Republik den Ideen Coudenhove-Calerghis begegnet war, wurde auch ein überzeugter Europäer, der immer wieder nach Wegen zur Überwindung der Trennungslinien in Europa suchen würde.
In seinem Europabild hatte aber auch eine demokratische österreichische Republik ihren Platz und schon in seiner Maturaarbeit Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts versuchte er, den Beweis ihrer damals von vielen angezweifelten wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit zu erbringen. Und während auch noch ein Teil der sozialdemokratischen Emigration während des 2.Weltkrieges an der „großdeutschen Revolution“ festhielt und nicht daran dachte, den Anschluss rückgängig zu machen, sprach sich – nicht zuletzt unter seinem Einfluss – die Stockholmer Gruppe für ein wieder unabhängiges Österreich aus .
Es war daher ein logischer Entschluss, nach dem Wiederbeginn in Wien 1945 in den diplomatischen Dienst des neuen Österreich einzutreten, eine der Alternativen, die KREISKY, der sich wieder in den Dienst seines Landes stellen wollte, von Adolf SCHÄRF angeboten wurde.





KREISKY und die österreichische Neutralität

Die Gestaltungsmöglichkeiten, die KREISKY in der österreichischen Außenpolitik suchte, boten sich vor allem nach seiner schließlichen Rückkehr nach Wien und seiner Berufung zu einem der Berater des damals neugewählten Bundespräsidenten Theodor KÖRNER. Das zentrale Problem damaliger österreichischer Außenpolitik, der Kampf um den Staatsvertrag, beherrschte auch die Diskussion um eine künftige Stellung Österreichs in Europa und in der Welt. Wenn sich in einigen seiner Aussagen – etwa in einem Interview für eine der damals angesehensten Schweizer Tageszeitungen, das „JOURNAL DE GENEVE“- Theodor KÖRNER (ebenso wie sein Vorgänger Karl RENNER) für eine bestimmte Form österreichischer Neutralität aussprach, so kann man darin ohne Zweifel die Handschrift seines außenpolitischen Beraters vermuten.
Sein Einfluss auf die österreichische Außenpolitik verstärkte sich natürlich durch seine Berufung zum Staatssekretär in das damals noch dem Bundeskanzleramt angehörende Außenamt an der Seite von Karl Gruber und Leopold Figl. In dieser Eigenschaft sollte er zusammen mit Raab, Schärf und Figl zu einem einflussreichen Gestalter der Staatsvertragsperiode der österreichischen Außenpolitik werden.
Seine besondere Gesprächsfähigkeit, vor allem auch zu Vertreten der damaligen Großmächte, machte ihn rasch zu einem gesuchten Gesprächspartner auch der alliierten Hochkommissare in Wien, die die umfassenden Kenntnisse und das Einfühlungsvermögen des jungen Regierungsmitglieds schätzen lernten.
In dieser sensiblen Phase österreichischer Außenpolitik war es wieder KREISKY, der es verstand, Ideen zur Überwindung sowjetischer Widerstände gegen den Abschluss eines österreichischen Staatsvertrages erfolgreich zu ventilieren. So berichtet ein unverdächtiger diplomatischer Zeuge, der damalige schwedische Botschafter in Wien, über ein Abendessen in der Villa Kreiskys, bei dem der Gastgeber den damals wichtigsten sowjetischen Repräsentanten in Wien auf die Möglichkeit anspricht, dass Österreich eine Neutralität, allerdings eine solche nach dem Muster der Schweiz, annehmen könnte.
Gerade diese Formel, zu der KREISKY offenbar schon früh gefunden hatte, hat es ja dann schließlich in Moskau erlaubt, anfängliche Bedenken von Adolf SCHÄRF, der jedem Neutralismus skeptisch und ablehnend gegenüberstand, zu überwinden und das Memorandum zu unterzeichnen, das den Weg für den Staatsvertrag freigab.
Haben KREISKY Rücksicht auf seine neutralitätsskeptischen Parteifreunde also ganz offenbar dazu veranlasst, sich zu diesen Ideen nicht schon früher in der Öffentlichkeit zu bekennen, so ist seine Rolle bei der Schaffung eines inner-österreichischen Konsenses zur Frage der österreichischen Neutralität unverkennbar .
KREISKYs Rolle bei den Staatsvertragsverhandlungen vor und nach Moskau haben ihm aber auch eine für die damalige österreichische Außenpolitik wichtige Vertrauensbasis zu wichtigen Signatarmächten, vor allem zur UdSSR, ebenso auch zu den USA und ihrem damaligen Außenminister Forster DULLES geschaffen.


KREISKY als Deutschland – und Entspannnungspolitiker

Es war auf der Grundlage dieser Vertrauensbasis, dass KREISKY dann in späteren Jahren immer wieder eine wichtige Rolle vor allem in der europäischen Entspannungspolitik spielen konnte, ihm auch heikle Vermittlungsmissionen übertragen wurden.
So kam ihm eine bedeutende Rolle bei der Lösung der damals um Berlin und den Status der Stadt entstandenen Krise zu, die immer wieder auch Konfrontationen zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR auslöste. Um verschiedene Vorschläge der Sowjetunion an die westliche Seite, vor allem auch an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy BRANDT, heranzutragen, bediente sich der diplomatisch bewegliche Führer der UdSSR, CHRUSCHTSCHEW, des jungen österreichischen Außenministers KREISKY, der ihm bei verschiedenen Begegnungen aufgefallen war und der auch über gute Kontakte zu BRANDT verfügte.
Ein Erfolg dieser Bemühungen, in die damals auch Egon BAHR als enger Mitarbeiter Brandts eingeschaltet war und die dann aber schließlich am Misstrauen aller Kontrahenten scheitern mussten, hätte vielleicht, in der Meinung mancher Zeithistoriker, den Bau der Berliner Mauer verhindern können.
Auch andere Seiten der europäischen und globalen Entspannungspolitik dieser Jahre hat immer wieder KREISKY geschrieben, natürlich auch später in seinen Jahren als österreichischer Bundeskanzler, in denen – wie unter anderem Henry KISSINGER in seinen Erinnerungen berichtet – auch die Führer beider Supermächte seinen Rat und seine Meinung schätzen lernten.
Dazu gab es auch so manchen Höhepunkt wie etwa ein Treffen zwischen CARTER und BRESCHNEW in Wien im Sommer 1979, bei dem eines der bedeutendsten damals ausgehandelten Abkommen über nukleare Rüstungskontrolle, das sogenannte SALT 2 Abkommen von den beiden Weltmächten unterzeichnet wurde.
Einen anderen, ebenso bedeutenden Beitrag zur Entspannungspolitik leistete KREISKY durch seine Politik der guten Nachbarschaft gegenüber den Österreich damals umgebenden kommunistisch beherrschten Staaten. Mit einer Politik des Dialogs und der Öffnung war aber keineswegs eine blinde Anerkennung des von der UdSSR erzwungenen status quo verbunden, sondern auch der Versuch, über den oft hartnäckig verteidigten Eisernen Vorhang hinweg menschliche Kontakte zu ermöglichen und ein in den Jahren des Kalten Krieges verschüttetes Netz von Beziehungen wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Natur wiederaufzubauen. Diesem Ziel diente u.a. eine Politik der damals ganz ungewöhnlichen Visafreiheit gegenüber Staaten wie Polen und Ungarn, deren Freiheitsregungen im westlichen Europa, vor allem aber auch von KREISKY aufmerksam verfolgt wurden.
KREISKY zögerte aber auch nicht, gegen die UdSSR und die kommunistischen Diktaturen im Osten aufzutreten, wenn durch Ereignisse wie das Ersticken des Prager Frühlings im August 1968 auch zarte Versuche der Schaffung eines Regimes mit menschlicherem Antlitz brutal unterdrückt wurden. Gegenüber der unsicheren und schwächlichen Haltung der damaligen Regierung KLAUS, die anfänglich kaum Worte des Protestes gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die CSSR fand, organisierte er als Vorsitzender der in Opposition befindlichen SPÖ in Wien große Protestkundgebungen gegen die Unterdrückungen in Prag und zwang damit auch die österreichische Regierung, sich dem Protest des ganzen freien Europa anzuschließen.
Früher als andere hat er aber auch jene Signale der Dissidenz erkannt, die selbst in der Sowjetunion von großen Wissenschaftlern und Denkern wie Andrej SACHAROW ausgingen, indem er dazu beitrug, ihm mehr Gehör auch im Westen zu verschaffen.
Als Bundeskanzler stellte sich KREISKY auch entschieden dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan entgegen und appellierte – allerdings ohne Erfolg - an den damaligen Koordinator der Bewegung der Blockfreien, Fidel CASTRO, eine Vermittlungsaktion zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit Afghanistans zu unternehmen.


KREISKY und die Europapolitik

Auch in der österreichischen Europapolitik hat Bruno KREISKY, sowohl als Außenminister als auch als Bundeskanzler wichtige Weichenstellungen vorgenommen und nach einem guten Platz Österreichs im Prozess der europäischen Integration gesucht. Vor allem stand für ihn niemals die wirtschaftliche aber auch politische Westorientierung Österreichs in Zweifel, die schon in den ersten Jahren der Zweiten Republik mit der Annahme des Marshall Plans und dem Beitritt zur damaligen OEEC ihren Anfang nahm.
Darüber hinaus dachte KREISKY in Fragen der Integration der westeuropäischen Demokratien „großeuropäisch“ und unterstützte daher schon in den 1950er Jahren den Plan einer großen europäischen Freihandelszone, die der britische Schatzkanzler Reginald MAUDLING
Verwirklichen wollte, um eine integrationspolitische Spaltung Europas zu verhindern.
Erst nachdem durch den Abschluss der Römer Verträge und die Gründung der EWG diese Bemühungen gescheitert waren, schloss er sich zusammen mit den skandinavischen Staaten, der Schweiz und Portugal dem britischen Projekt einer kleinen Freihandelszone, der EFTA, an, um eine integrationspolitische Isolierung Österreichs zu verhindern. In seinen Augen war die EFTA aber keineswegs eine „Gegenkultur“ zur EWG, sondern sollte in den damals auch weltpolitisch möglichen Formen Brücken zu der größeren und ehrgeizigeren Integrationsgemeinschaft der Sechs schaffen.
Diese Form des methodischen Brückenbaues erschien ihm sinnvoller und auch politisch realistischer als manche der damals in der österreichischen Europadiskussion modischen Stimmen, die einen sofortigen Beitritt zur EWG für möglich hielten und, wie ein ehemaliger steirischer Landeshauptmann fürchtete, Österreich könne „in der Neutralität verhungern“.
Ebensowenig gangbar erschien ihm aber auch der Weg eines österreichischen Alleinganges nach Brüssel, wie ihn dann in den 196oer Jahren die ÖVP Alleinregierung zu gehen versuchte: tatsächlich scheiterte er auch am Veto Italiens, das mit Österreich in die Kontroverse um das Schicksal Südtirols verstrickt war und in dieser Situation zu keinen Konzessionen in Fragen der Annäherung des Landes an die EWG bereit war. Nicht ausgeschlossen kann werden, dass auch andere Mitglieder der Sechsergemeinschaft damals wenig Geschmack an einer Sonderlösung für Österreich fanden und die Einwände Italiens als bequemes Mittel für einen Ausweg nutzten.
So blieb es Bundeskanzler KREISKY überlassen, nach Wegen zu einer neuerlichen Annäherung an die EWG zu suchen, die inzwischen durch den Beitritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands weiter gewachsen, damit aber auch bereit für einen echten Brückenschlag zur EFTA geworden war. So entstand 1972 die große europäische Freihandelszone zwischen EWG und EFTA, deren Zustandekommen KREISKY durch eine erfolgreiche diplomatische Offensive in den wichtigsten Hauptstädten der EWG und in Brüssel besondere Bemühungen widmete.
Aber auch durch weitere integrationspolitische Initiativen setzte er den Prozess der europäischen Integration immer wieder in Gang, etwa durch die Abhaltung einer ersten Gipfelkonferenz der Regierungschefs der EFTA, die damit ihre europäischen Anliegen deutlich machen konnten.
Auch für KREISKY war es klar, dass der Weg Österreichs in der europäischen Integration auch weiter führen könnte, jedenfalls sobald auch das Klima der Weltpolitik, besonders der europäischen Entspannungspolitik dafür reif war. War es ihm auch als Regierungschef nicht mehr vergönnt, auch diese letzten Schritte einzuleiten, so hat er dann in den letzten Jahren seines Lebens auch in der österreichischen Europadiskussion ein unüberhörbares Ja zum schließlichen EG Beitritt Österreichs gesagt, damit auch zu jenem nationalen Konsens beigetragen, der die Entscheidung von 1989 ermöglicht hat.


KREISKY und Südtirol

Die Südtirolpolitik Österreichs verdankt KREISKY vor allem ein wesentliches Element, auf dem ihre Fortsetzung und der schließliche Abschluss mit Italien 1992 beruhen, nämlich die Internationalisierung der Südtirolfrage, die Italien lange mit dem Hinweis zu verhindern suchte, es handle sich bei allen Fragen betreffend die österreichische Minderheit in Italien um eine rein innere Angelegenheit Italiens, die sich daher für internationale Verhandlungen mit Österreich nicht eigne.
Auch schon den Vorgängern KREISKY’S im Amt des österreichischen Außenministers wurde es allerdings bald klar, dass die italienische Lesart des 1946 im Rahmen der Friedensverhandlungen mit Italien abgeschlossenen GRUBER–DEGASPERI Abkommens, das besondere Maßnahme zum Schutz der deutschsprachigen (und ladinischen) Südtiroler vorsah, eine wesentlich andere war als die Österreichs, besonders aber die der Südtiroler selbst. So konnte vor allem in der bloßen Schaffung einer autonomen Region Trentino-Alto Adige, in der wieder die italienische Volksgruppe die Mehrheit stellte, kein wirksamer Schutz der ethnischen und kulturellen Identität der Südtiroler gesehen werden. Da Italien aber gegenüber Forderungen nach einer echten Autonomie für seine deutschsprachige Bevölkerung in der Provinz Bozen taube Ohren zeigte, musste Österreich, damals von Italien allerdings noch nicht als Schutzmacht für seine Landsleute südlich des Brenners anerkannt, für die Sache der Südtiroler eintreten. Da sich alle bilateralen Kontakte als fruchtlos erwiesen, auch auf der Parteiebene zwischen den damals in Italien tonangebenden Democristiani und ihrer österreichischen Schwesterpartei ÖVP, fasste KREISKY den Entschluss, den Konflikt durch eine Befassung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu internationalisieren. Das Ergebnis dieser Entscheidung waren zwei hart errungene Südtirol–Resolutionen der Vereinten Nationen, in denen ein für Österreich äußerst wertvolles Verhandlungsmandat gegenüber Italien enthalten war. Dieser diplomatische Erfolg Österreichs wäre im Übrigen ohne die Unterstützung vieler Staaten der Dritten Welt oder europäischer Blockfreier wie Zypern nicht möglich gewesen, da Italien seine starke Stellung im westlichen Lager nutzen konnte, um Österreich Hilfe von dieser Seite zu verwehren.
In den folgenden Jahren kam KREISKY, vor allem durch eine weitreichende Verständigung über ein auch international abgesichertes erstes Südtirolpaket mit dem ersten sozialdemokratischen Außenminister Italiens, Giuseppe SARAGAT, einem Abschluss sehr nahe. Dass dieses dann schließlich von den Vertretern der Südtiroler Volkspartei als nicht genug substantiell abgelehnt wurde, hat KREISKY als einen Akt parteipolitischer Intrige empfunden, so sehr der große alte Mann der Südtiroler Politik Silvanus MAGNAGO, der auch damals schon alle Fäden zog, immer wieder beteuerte, wie sehr Südtirol KREISKY Dank schulde und wie wenig die Ablehnung seiner Vereinbarung mit SARAGAT mit Parteipolitik zu tun habe oder dass ganz einfach das konservative Tirol einem Sozialdemokraten nicht den Abschluss eines Südtirolabkommens gönnen wolle.
KREISKY hat dann auch als Bundeskanzler die dann von seinen konservativen Vorgängern abgeschlossenen Südtirolverträge, Paket und Operationskalender, buchstabengetreu erfüllt, so viel er noch als Führer der Opposition an ihnen auszusetzen hatte.
Dennoch hat KREISKY die Rolle Österreichs als Schutzmacht für Südtirol ein für alle Male abgesichert und damit auch ein nicht unbedeutendes Kapitel europäischen Minderheitenschutzes bereichert.


KREISKY und die Dritte Welt

Als einer der ersten österreichischen Außenpolitiker hat KREISKY auch sehr früh die Bedeutung des raschen Aufstieges der Dritten Welt zu einem der neuen Machtfaktoren, auch zwischen Ost und West, in einer sich rapide wandelnden Weltpolitik erkannt. Waren für Österreich erste Berührungspunkte mit diesen neuen unabhängigen Nationen die Vereinten Nationen, in denen Österreich auch bei eigenen Anliegen – etwa bei der Behandlung der Südtirolfrage – auf sie zählen konnte, so suchte KREISKY auch nach persönlichen Berührungspunkten mit den Führern der Dritten Welt. Besonders prägend waren dabei Begegnungen mit dem Gründer des neuen Indiens, Pandit NEHRU, zu dem ihn, wie auch später zu dessen Tochter, Indira GHANDI, eine enge persönliche Freundschaft verband.
Aus dieser Beziehung entstanden Initiativen wie die Gründung des Wiener Instituts für Entwicklungsfragen, mit dem KREISKY eine erste offene Tribüne des Nord-Süd Dialogs schaffen wollte und für das er führende Köpfe der Dritten Welt wie Ahmed BEN SALAH aus Tunesien oder Tom MBOYA aus Kenia gewinnen konnte.
Der Pflege der Beziehungen zu den Nationen der Dritten Welt, deren Einfluss auch in den Vereinten Nationen immer spürbarer wurde, diente später auch sein Entschluss, ein institutionell allerdings von einer gewissen Distanz geprägtes Verhältnis zu der damals machtvollen Bewegung der Blockfreien zu begründen, in deren Rahmen Österreich der Status eines „Gastes“ zugestanden wurde. Dieser Status, um den sich nach Österreich auch andere europäische Neutrale, die Schweiz eingeschlossen, erfolgreich bewarben, sollte keineswegs ein politisches Nahverhältnis signalisieren, da Österreich als westeuropäische Demokratie zu vielen Fragen der Weltpolitik einen anderen Zugang hatte als die oft erst kurz der kolonialen Beherrschung entgangenen Staaten der Dritten Welt. Er sollte aber als realistisches Zeichen der Anerkennung für einen neuen Faktor der Weltpolitik verstanden werden, der es besonders in seinen Anfangsjahren oft verstand, unabhängige Positionen zwischen Ost und West einzunehmen.
Österreich konnte sich damit, ohne eigene Positionen aufzugeben, ein besonderes Kapital an Sympathie und Verständnis erwerben, das sich besonders in den Vereinten Nationen oft in Unterstützung für österreichische Anliegen umsetzen ließ.
So steht außer Zweifel, dass der Ausbau Wiens zu einem der beiden europäischen Zentren der Vereinten Nationen sehr viel der Unterstützung der Dritten Welt verdankt, während sich westeuropäische Staaten hier oft reserviert verhielten. Ebenso konnten dank dieser Unterstützung immer wieder große internationale UN Konferenzen nach Wien geholt werden.
Auch keineswegs ideologischen Motiven war es zuzuschreiben, wenn Österreich in diesen Jahren – ebenso wie andere westeuropäische Demokratien – Befreiungsbewegungen der Dritten Welt unterstützte, ebenso wie Maßnahmen gegen Apartheidregime im südlichen Afrika, vor allem jenes in Südafrika selbst: ein viel eindeutigeres Motiv waren hier das eindeutige Bekenntnis einer europäischen Demokratie für Menschenrechte und Grundfreiheiten oder das Recht auf nationale Selbstbestimmung.
Aus diesem Grund ist das Österreich der Ära KREISKY auch sehr nachdrücklich gegen Diktatur und Unterdrückung in Südamerika oder anderen Teilen der Welt aufgetreten und hat eine große Zahl politischer Flüchtlinge aus Chile, Argentinien oder Uruguay aufgenommen.
In dieser Politik war ohne Zweifel auch das persönliche Schicksal KREISKYS als politischer Flüchtling vor dem Naziregime ein bestimmender Faktor und immer wieder hat er sich daher auch persönlich, in allen seinen Regierungsfunktionen wie auch als späterer Privatmann für die Freilassung nicht nur prominenter politischer Gefangener eingesetzt.
Eine seine wohl bedeutendsten Initiativen für die Dritte Welt war schließlich in den letzten Jahren seiner Regierungszeit der Gipfel von Cancun, den KREISKY zusammen mit dem Präsidenten Mexikos, Lopez-Portillo, organisierte. Auf diesem Gipfeltreffen, an dem im Oktober 1981 die bedeutendsten Persönlichkeiten der damaligen Weltpolitik teilnahmen, neben Präsident REAGAN, Premierministerin THATCHER und Francois MITTERAND auch Julius NYRERE oder Indira GHANDI Sollten Fragen der Entwicklungspolitik auf dem höchsten politischen Niveau erörtert werden, um einen großen Durchbruch in den Nord-Südbeziehungen zu erzielen. Es gehört zu den tragischen Seiten seines politischen Wirkens, dass ihm seine bereits stark angegriffene Gesundheit die Teilnahme an diesem Treffen verwehren sollte.


KREISKY und die Nahostpolitik

Nur wenige Seiten der außenpolitischen Aktivitäten KREISKYS wurden, natürlich vor allem auch noch zu seinen Lebzeiten, von so vielen, teils sehr missgünstigen Auslegungsversuchen begleitet wie seine Bemühungen in der Nahostpolitik.
Tatsächlich waren es aber weder persönliche, österreichischen Interessen weit entfernte Neigungen oder andere, in seiner Herkunft liegende Gründe, die KREISKY dazu veranlassten, in der Nahostpolitik seiner Zeit ein privilegiertes Betätigungsfeld zu sehen. Es waren vielmehr eine Serie elementarer politischer Einsichten, die sich mit den Jahren und seinen Erfahrungen im Nahen Osten noch verfestigten, die ihn zu einem der einflussreichsten und vielbeachtetsten Nahostpolitiker seiner Zeit machten.
So hat KREISKY schon sehr früh erkannt, ein wie direkter und unmittelbarer Einfluss von den permanenten Krisen im Nahen Osten auf die Sicherheit und Stabilität nicht nur der Region sondern auch Europas ausging. Dies wurde dann erstmals auch für ganz Europa im Gefolge des Yom Kippur (oder Oktober) Krieges 1973 sichtbar, der nicht nur die erste große Ölkrise der Geschichte, sondern auch eine gefährliche Konfrontation zwischen USA und UdSSR auslöste.
Erst nach diesen Ereignissen konnte sich auch die Nahostdiplomatie KREISKYS voll entfalten, der bis dahin auch im Rahmen der Sozialistischen Internationale nur wenig Gehör für seine Anliegen gefunden hatte.
Mit seinen dann von der ganzen Internationale, die israelische Arbeiterpartei eingeschlossen, getragenen „fact finding“ Missionen in den Nahen Osten verfolgte KREISKY nur wenige, dafür aber substantielle Ziele.
Zum einen wollte er jenen Gründen nachgehen, die immer wieder zu einem Aufflackern des Konfliktes, zum Teil in terroristischen Formen wie jenen des sogenannten „Schwarzen Septembers“ und anderen geführt hatten. Weiter sollte aber auch nach Formen des Dialogs und der Verständigung zwischen jenen gesucht werden, die als Hauptkontrahenten des Konfliktes erkannt worden waren.
Für KREISKY wurde dabei klar, dass als einer der wesentlichsten Hintergründe des Konfliktes das palästinensische Phänomen zu sehen war, das selbst in der bahnbrechenden Resolution 242 des UN Sicherheitsrates – bis heute eine der wichtigsten Grundlagen für eine Lösung des Nahostkonfliktes – noch hinter vagen Formulierungen verdeckt blieb.
Nicht zuletzt von seinen Erkenntnissen getragen, richteten sich internationale Vermittlungsbemühungen später – und bis heute – immer stärker auf diesen Faktor aus, vor allem, nachdem durch den Friedensschluss von Camp David einer der längsten Hauptgegner Israels, das Ägypten Präsident SADATS zum Dialog gefunden hatte.
KREISKY hat weiter einen substantiellen Beitrag dazu geleistet, der damaligen Führung der Palästinenser, der PLO Yassir Arafats die Fruchtlosigkeit weiterer Gewaltanwendung vor Augen zu führen und sie auf den politischen Weg zu führen, einen Weg, den ARAFAT selbst durch seinen ersten, spektakulären Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen einleitete.
Ebenso war KREISKY mit Erfolg bemüht, immer wieder den Dialog zwischen Führern der arabischen Welt und israelischen Staatsmännern zu vermitteln, so wenig er sich selbst als Handelnder und Gestaltender in einem Konflikt von weltpolitischen Dimensionen sehen wollte.
So wenig es KREISKY natürlich gelingen konnte, Phasen der Gewalt und der Gewaltanwendung aus dem Nahostkonflikt zu verbannen und so sehr auch Terror und Gegenschläge immer wieder zurückkehrten, kann doch kein Zweifel darin bestehen, dass er immer wieder entscheidende Beiträge dazu geleistet hat, den Nahostkonflikt vom Weg der Gewalt zum Weg des Dialogs und der Verhandlung zu führen. Gerade diese Beiträge und Ideen KREISKYS müssen daher auch als eine unverzichtbare Grundlage dessen angesehen werden, was erst in späteren Jahren, erst nach seinem Tod 1990 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, vor allem aber auch der Führung der Palästinenser möglich geworden ist. Ohne Zweifel war daher auch KREISKY einer der Väter, einer der Urheber der historischen Vereinbarungen, die dann schließlich in Oslo zwischen Itzak Rabin und Yassir Arafat geschlossen wurden. Diese Rolle KREISKYS findet heute auch in Israel immer wieder Anerkennung und Beachtung, so sehr gerade auch in Israel sein Bemühen um einen Frieden im Nahen Osten Gegenstand heftiger Kritik war.
Dennoch hat KREISKY aber auch nie einen Zweifel an seiner Loyalität gegenüber seinen israelischen Parteifreunden und an seiner positiven Einstellung zum Staat Israel gelassen, dessen Sicherheit ohne Zweifel auch zu den Motiven seiner Nahostpolitik gehörte. Die Polemik mit manchen Vertretern der israelischen Politik seiner Zeit, nicht zuletzt mit den vom Likud gestellten, hat diese Motive freilich überlagert und seine Politik in einem anderen Licht erscheinen lassen.



KREISKYS Außenpolitik: die Schwerpunkte

Versucht man sich einen Überblick über sein Gesamtwerk zu verschaffen, so wird rasch deutlich, dass KREISKY nicht nur der bedeutendste Außenpolitiker der ersten Jahrzehnte der Zweiten Republik war, sondern auch ein politischer Denker und Stratege, dessen Wirken noch viele weitere Generationen nach ihm beeinflussen wird.
So war KREISKY im, Gegensatz zu vielen seiner in der Außenpolitik aktiven Nachfolger mit einer globalen Sicht der Dinge ausgestattet und verstand es, Österreich und seine Interessen nicht nur im europäischen Kontext oder im Kontext seiner unmittelbaren Nachbarschaft – ein beliebtes außenpolitisches Spielfeld eher provinziell denkender konservativer Politiker – ins Spiel zu bringen.
Daher war KREISKY – mit ihm aber auch Österreich – ein manchmal gern gesehener Partner auch von Weltmächten wie den USA oder der damaligen UdSSR.
Dabei stand KREISKY, auch in den Jahren des Kalten Krieges unverrückbar auf der Seite des Westens und machte sich besonders die Pflege von Beziehungen zu den Führern der amerikanischen Politik zur Aufgabe. So gab es besonders herzliche Beziehungen zu Präsident KENNEDY, der seine scharfsinnigen Analysen schätzte, später auch zu den Präsidenten FORD und Jimmy CARTER, aber auch zu seinem republikanischen Nachfolger Ronald REAGAN, dem sein letzter Staatsbesuch in den USA im März 1983 galt.
KREISKY war also auch Weltpolitiker und hat das nirgends so deutlich unter Beweis gestellt als in seiner Nahostpolitik, hat er doch die engen Zusammenhänge zwischen der Sicherheit Europas und der des betroffenen Raumes erkannt. Dort hat er, ohne pathetische Worte und mit einem bescheidenen Anspruch dennoch große Beiträge für eine echte Friedensordnung geleistet, damit aber auch – so wenig er das selbst so gesehen haben mag – einen Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens.
In der Europapolitik war er ein überzeugter Anhänger einer progressiv fortschreitenden europäischen Integration, in der auch Österreich seinen festen Platz haben sollte. Dabei musste er natürlich auf das weltpolitische Klima seiner Zeit, den Kalten Krieg und die Rolle, die Institutionen der europäischen Integration darin spielen konnten, Bedacht nehmen. Daher setzte die Nähe der alten EWG zum westlichen Verteidigungsbündnis einer Annäherung Österreichs und anderer europäischer Neutraler wie Schweden und Finnland an die EWG Grenzen.
Dennoch waren seiner pragmatischen und realistischen Europapolitik ideologische Clichés der Zeit, die in der EWG lediglich einen „kapitalistischen Bürgerblock“, in der EFTA aber eine Art sozialdemokratisches Gegenprogramm erkennen wollten, völlig fremd und seine Äußerungen zu Brüssel waren von Anerkennung für dieses dichte Netzwerk europäischer Integration gekennzeichnet.
Auch in der österreichischen Nachbarschaftspolitik ,die schon in seiner Zeit als Außenminister mit klaren Akzenten begann, hat KREISKY tiefe Spuren hinterlassen. Ohne ideologische Grenzen zu verwischen suchte er nach Normalisierung zu Österreichs kommunistisch gewordenen Nachbarn ,führte aber auch in ihren Hauptstädten eine klare Sprache, in der er sich auch zu den westlichen Werten bekannte, die der österreichischen Politik zugrunde lagen. So hielt er als Außenminister einige vielbeachtete Vorträge in Warschau oder Budapest und konnte damit als erster westlicher Politiker auch eine breitere Öffentlichkeit dieser Länder ansprechen.
Diese Politik der Normalisierung , die ähnliche Züge trug wie die später von Willy BRANDT verfolgte Konzept des „Wandels durch Annäherung“, stellt sicher einen jener Beiträge dar, durch den der Eiserne Vorhang und mit ihm die Trennung Europas ins Wanken geriet.
Die Außenpolitik KREISKYS war aber auch vor allem dazu bestimmt, Österreich und seinen Interessen, vor allem der Sicherheit des Landes in einer unruhigen Welt zu dienen. Er hat daher Instrumente der Politik und der Diplomatie militärischen bei weitem vorgezogen und daher auch den Offizieren des Bundesheeres – so sehr er ihre Einsätze im Rahmen der Friedenstruppen der Vereinten Nationen schätzte – so manchen Wunsch in der Einsicht abgeschlagen, dass etwa Investitionen in einen Sitz der Vereinten Nationen der Sicherheit Österreichs besser dienen könnten als modernes Kriegsgerät.
So hat seine Außenpolitik Österreich eine oft sogar glanzvolle Rückkehr in eine Weltpolitik erlaubt, aus der das Land lange verbannt war und Österreich Positionen eröffnet, die seine Sichtbarkeit noch weiter erhöhten wie etwa die des Generalsekretärs der Vereinten Nationen oder – erstmals in der UN Geschichte Österreichs - einen Sitz im Sicherheitsrat. Dieses Maß internationaler Anerkennung hat sicher auch zu einer immer stärkeren Identifikation vieler ÖsterreicherInnen mit ihrem Staat beigetragen und ein neues Nationalbewusstsein gefördert, um das frühere Generationen von Politikern erfolglos gekämpft hatten.
Gewiss hat eine so umfassende und oft engagierte Art des Herangehens an internationale Fragen wie KREISKY sie gezeigt hat auch Kritik ausgelöst, sowohl in Österreich bei einer durch seine Weltsicht oft überforderten konservativen Opposition, manchmal auch im Ausland.
Das galt besonders für seine Nahostpolitik, deren Grundideen dann aber oft auch zur Basis westlichen Politik wurden.
Dennoch bleibt sein Vermächtnis lebendig, hat KREISKY doch in der wiedererstandenen 2.Republik eine lange verdörrte, lange nur unter großen Schwierigkeiten betriebene Dimension, die Dimension der Außenpolitik wiederbelebt, der Republik eigentlich erst wieder eine Außenpolitik gegeben, von der er sich zu reden lohnte – in Wien wie in anderen Hauptstädten Europas. Gewiss ist das, was er auf diesem Gebiet geschaffen und geleistet hat trotz aller heute spürbaren Nostalgie nicht mehr wiederholbar, zu sehr haben sich Zeiten und Rahmenbedingungen geändert. Sehr wohl Kapital auch für heute bieten der Geist, bieten die Ambitionen, mit denen KREISKY an die Aufgaben seiner Epoche herangegangen ist und die ihm so ungewöhnliche Erfolge beschert haben.


Peter JANKOWITSCH, der KREISKY als Außenminister, Oppositionsführer und Bundeskanzler als Mitarbeiter begleitete, hat in der österreichischen Diplomatie und Politik eine Reihe höherer Funktionen ausgeübt, u.a. als UN Botschafter in New York, OECD Botschafter in Paris und Vertreter Österreichs auf vielen internationalen Konferenzen. Zweimal in die Bundesregierung berufen, hat er auch während mehrerer Legislaturperioden dem Nationalrat angehört und war u.a. Vorsitzender des ersten Gemeinsamen Ausschusses zwischen dem Europäischen und österreichischem Parlament.


 
Peter Jankowitsch